Die Geschichte der Madgermanes gehört zu den verkannten Teilen des historischen Erbes Deutschlands. Ähnlich wie die Kolonialgeschichte Deutschlands in Afrika finden auch die DDR-Beziehungen zu afrikanischen Ländern in den 1970er und 1980er Jahren wenig Beachtung in der heutigen deutschen Gesellschaft. Dennoch haben sie auf individuellen Lebensentwürfen Spuren hinterlassen, denen das Theater- und Ausstellungsprojekt IDENTITY: A Bloody Romance nachgeht. In seinen Fotografien und Kurzvideos porträtiert der Theaterregisseur Jens Vilela Neumann AkteurInnen der deutsch-mosambikanischen Geschichte und verleiht ihnen einen Raum für ihre so diversen Stimmen.

Es sind die Geschichten von Elisa Boana, die heute als Hausmädchen für eine deutsch-mosambikanische Familie arbeitet, oder von Beatriz, deren Kollege bei einer Demonstration durch einen Schuss der Polizei 2003 ermordet wurde und die für die Rückgabe des Leichnams hart kämpfen musste. Petra Wanga erzählt, wie sie nach ihrer Rückkehr an die Front geschickt wurde, als der Bürgerkrieg in Mosambik immer mehr Soldaten einforderte. Oder das Schicksal einer deutschen Familie, die in den 1980ern durch den Bürgerkrieg auswandern musste. Es sind auch Väter von afrodeutschen Kindern, die sehnsüchtigst ihre Kinder sehen möchten.

Was alle ProtagonistInnen teilen, ist über die Grenzen hinaus von einer gesellschaftlichen Repräsentation ausgeschlossen worden zu sein und zugleich die Suche nach Anerkennung und Zugehörigkeit, nach Liebe. Sie fielen den politischen und wirtschaftlichen Interessen eines sich globalisierenden kapitalistischen Systems zum Opfer. Als Individuen müssen sie sich im komplexen internationalen politischen und ökonomischen Gefüge von Herrschaftsverhältnissen zurechtfinden. Manche demonstrieren, manche verschweigen ihre Vergangenheit in der DDR. In der mosambikanischen Gesellschaft gelten die Madgermanes aufgrund ihrer wöchentlichen Demonstrationen weitestgehend als störende Außenseiter. Auch wenn sie sich in Mosambik, besonders in Maputo, vereinigt haben und paradoxerweise als politische Subjekte die einzig sichtbare außerparlamentarische Opposition des Landes bilden. Andere suchen nach ihren Angehörigen, und überall die Sehnsucht nach ihrer Zeit in der DDR, die Sehnsucht nach Anerkennung und Zugehörigkeit.

IDENTITY bewegt sich zwischen persönlichen Lebensentwürfen und kollektivem Gedächtnis im Kontext einer westzentrischen Geschichtsschreibung. Das Projekt fragt deshalb nach der Rolle von kultureller Aufarbeitung und interkulturellem Austausch in unserer zeitgenössischen Gesellschaft. Mit Angola, Äthiopien und Madagaskar baute die DDR ebenfalls Beziehungen auf. Durch Stipendien wurden junge Leute in die DDR geschickt, wo manche nach dem Fall der Mauer geblieben sind.

Bei der Lektüre von Ausschnitten des Stückes prägte sich ein Satz besonders ein: „Die Narben der Konsequenzen – das nennt man Identität!“. Zu den Konsequenzen der deutsch-mosambikanischen Geschichte gehören das Leben der Madgermanes sowie ihrer in Deutschland gebliebenen Erben, die im alltäglichen Leben mit Rassismus konfrontiert sind. Dies ist Teil unserer Gegenwart und zugleich Erbe der Geschichte, was ins Vergessen gar ins Verleugnen gerät. Der besondere Wert kultureller Aufarbeitungsprojekte wie IDENTITY besteht darin, Wissen – emotionales und historisches – zu transferieren und dessen soziokulturellen Prozesse in ihrer zeitgenössischen Bedeutung sichtbar zu machen.

von Sophie Eliot

Premiere ende small

Literatur:

Hans-Joachim Döring (1999): „Es geht um unsere Existenz“. Die Politik der DDR gegenüber der Dritten Welt am Beispiel von Mosambik und Äthiopien. Links, Berlin.

Hito Steyerl (2008): „Die Gegenwart der Subalternen“ (S. 7-16). In: Gayatri Chakravorty Spivak: Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation. Für die deutsche Ausgabe: Verlag Turin + Kant, Wien.